Wie die meisten seiner Mitbürger aus Duala kam auch Joseph Ekwe Bilé (1892-1959) mit seinem Bruder und seiner Schwester nach Deutschland, um eine Ausbildung zu erhalten. Damals wurden Dutzende von Kindern aus elitären Küstenfamilien in Kamerun und Togo unter deutscher Kolonialherrschaft zur Ausbildung nach Deutschland geschickt. Bilé besuchte von 1912 bis 1914 die Technische Schule Hildburghausen in Thüringen, wo er sich als Bauingenieur qualifizierte.
Vor Ausbruch des Krieges kehrten sein Bruder und seine Schwester nach Kamerun zurück, während Bilé in Deutschland blieb und wie viele seiner afrikanischen Zeitgenossen nach der deutschen Niederlage und dem Verlust aller afrikanischen Kolonien staatenlos wurde. Während sein Bruder in der französischen Kolonialverwaltung in Kamerun Karriere machte, wurde Bilé nach Ausbruch des Krieges von seiner Familie im Heimatland abgeschnitten. Ohne finanzielles Einkommen ist er zum
Überleben ganz auf die Unterstützung seines ehemaligen Mathematiklehrers Kümpel angewiesen. Auf Kümpels Rat hin meldete sich Bilé als Freiwilliger zur Armee, doch eine Fußverletzung zwang ihn wenige Monate später zum ersatzlosen Rücktritt. Wiederum kümmerte sich Kümpel um ihn, bis er in einem städtischen Bauamt in Ostpreußen Arbeit fand. 1921 wurde er aus dieser Stelle zugunsten heimkehrender Kriegsveteranen entlassen. Da Kümpels wiederholte Bemühungen, einen Job für ihn zu finden und Wege für seine Rückkehr nach Kamerun zu finden scheiterten, also wandte sich Bilé der Bühnenkunst zu. Er wurde bei einer Filmgesellschaft in Berlin angestellt, zog aber 1923 nach Wien, um bei einem Zirkus zu arbeiten. Dort war er bis 1929 als etablierter Darsteller ansässig und arbeitete in Zirkussen und in der Filmindustrie.
Die französischen und britischen Kolonisten weigerten sich, die Rückkehr von Afrikanern aus den ehemaligen deutschen Kolonien zuzulassen, so dass Bilé und sechs weitere seiner Landesgenossen aus Douala die Liga zur Verteidigung der Negerrasse (LzVN) gründeten, deren Hauptzweck der Kampf gegen Rassenhass war. Die meisten Mitglieder, von denen einige aus Kamerun, einige aus Togo und anderen westafrikanischen Gebieten stammten, traten mit anderen kolonisierten Völkern wie Haiti zusammen. Ihr Engagement verdanken sie vor allem ihren eigenen Erfahrungen mit Kolonialismus und diskriminierenden Ausgrenzungspraktiken im Alltag. Die Hauptaufgabe der Mitglieder der LzVN bestand darin, an den politischen Kundgebungen teilzunehmen, die von der Antiimperialistischen Liga (LAI) und verwandten Organisationen im Rahmen der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) organisiert wurden. Die Mitgliedschaft in der Gruppe stand allen schwarzen Menschen offen, auch ihre weißen Ehefrauen durften beitreten. Die meisten Mitglieder waren in Berlin ansässig, wo die Gruppe ein Büro in der Zentrale der Antiimperialistischen Liga hatte. Die LzVN unterstützte die Notwendigkeit der Einheit zwischen weißen und schwarzen Arbeitern weltweit, indem sie schwarze Deutsche ermutigte, deutschen Gewerkschaften beizutreten und die Unabhängigkeit afrikanischer Staaten und Befreiung für Afroamerikaner forderte.
Die Mitglieder beteiligten sich am Informationsaustausch zwischen Deutschland und Afrika und arbeiteten dafür, indem sie Propagandamaterial schmuggelten, darunter Kopien der Satzung der Gruppe oder private Briefe an Freunde und Verwandte in Afrika. Das Ausmaß dieses Schmuggels in den frühen 1930er Jahren war so groß, dass es den französischen Behörden Sorgen bereitete. Tatsächlich erreichten die antikoloniale Literatur der Zeit sowie Exemplare der kommunistischen Zeitung "Die Rote Fahne" Douala und wurden sogar im Landesinneren verteilt. Ausgebildet an der Marxistischen Arbeiterschule besuchte Bilé die KPD, der er 1930 offiziell beitrat. Eingeschrieben in breitere antikoloniale und schwarze Befreiungskreise, vertrat er die Gruppe auf der ersten internationalen Konferenz der schwarzen Arbeiter. Im Sommer 1932 kam er unter dem Pseudonym Charles Morris nach Moskau, um sich an der Kommunistischen Universität der Ostarbeiter in einer englischsprachigen Sektion zu bilden, die sich mit Afrikanern beschäftigte. Dort traf er den späteren kenianischen Präsidenten Djomo Kenyatta und kam in Kontakt mit einer Reihe von einflussreichen Afrikanern und Afroamerikanern, die in transnationale Netzwerke von politischen Aktivisten aus Afrika eingebunden waren. Er wandte sich an Komintern-Offiziere in Moskau und bat darum, nach Kamerun zurückgeschickt zu werden, um zu operieren und neue Kräfte für den Kampf zu rekrutieren. Nach Abschluss seiner Ausbildung im Jahr 1934 verließ Bilé Moskau und ging nach Paris, wo er ein Empfehlungsschreiben für den Beitritt zur Französischen Kommunistischen Partei erhielt. Nachdem sich der Kontext der internationalistischen und schwarzen antikolonialistischen Politik in Europa und Kamerun verändert hatte, löste sich die LzVN-Gruppe 1935 auf. Bilé äußerte erneut den Wunsch, nach Kamerun zurückzukehren, was ihm die französischen Behörden 1935 erlaubten, nachdem er dem Kommunismus abgeschworen hatte. Zurück in Douala und aus dem politischen Leben zurückgezogen, gründete er eine Familie und arbeitete als Architekt.
Die Aktualität des von Bilé geführten Kampfes ist auch heute noch von Bedeutung, in einer Zeit, in der einerseits die Unabhängigkeit afrikanischer Länder angesichts der neokolonialen Ambitionen und der bestehenden Kolonialen Bezüge noch lange nicht erreicht ist. Auf der anderen Seite ist die Welt weit davon entfernt, Rassismus und Rassentrennung überwunden zu haben, so dass antirassistische Bewegungen wieder stark in den Vordergrund rücken. Darüber hinaus stehen weiterhin Diskussionen über den Umgang mit dem kolonialen Erbe in Europa auf der Tagesordnung, insbesondere im Hinblick auf historische Denkmäler, Straßennamen und afrikanische Kulturgüter, die in europäischen Museen ausgestellt werden. Die kamerunische engagierte und aktivistische Diaspora in Deutschland und anderswo in Europa ist in der Auseinandersetzung mit der in Frankreich hergestellten und in Kamerun immer noch verwendeten Kolonialwährung - FCFA -, der kulturellen Hegemonie durch die Übernahme von Kolonialsprachen - Französisch und Englisch - als Amtssprachen, der Privatisierung natürlicher Ressourcen durch ausländische multinationale Konzerne unter Mitwirkung von regierenden Mächten vor Ort und vor allem durch die Entwicklungshilfe als Quelle der langfristigen Verschuldung bei internationalen Gebern. Ausgehend davon, dass der jährliche finanzielle Beitrag der Diaspora für die afrikanischen Länder weitaus größer ist als diese „Hilfe“, sind die heutigen Kämpfe in der Kontinuität des afrikanischen Aktivismus‘ der 1920er und 1930er zu strukturieren, indem sie sich auf die Forderungen der Proletarier von heute stützt, welche Migranten, Diasporen, politisch Exilierte, Minderheiten so wie die in den jeweiligen Ländern ansässigen Völker sind. Vielleicht kann - inspiriert von den Werten des Kommunismus - ein revolutionäres Potenzial entstehen, das die Militanz der Diaspora wiederbelebt und die afrikanischen Gesellschaften in Richtung des Gemeinwohls bewegt.
Autor Quentin Tsangue, in Kamerun geboren und aufgewachsen, ist Student an der Universität in Saarbrücken