Nachricht | Stadt / Kommune / Region Das Saarland setzt auf alte Linsensorten

Ein weiter Weg von St. Petersburg an die Saar

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Schon einmal von „Lothringer Linsen“ gehört? Diese Linsen galten vor Jahrhunderten als Delikatessen, wie schon der berühmte Botaniker Hieronymus Bock (1498-1554) in seinem Kräuterbuch beschrieb.

Doch diese Sorte scheint, wie andere alte Kulturpflanzen im Laufe der industriellen Umwälzungen in der Landwirtschaft verloren gegangen zu sein…. Damit wollte sich Patric Bies, Regionalmitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Saarbrücken und zudem in der heimischen Landwirtschaft aktiv, nicht zufrieden geben.

Bies schrieb das Wawilow-Institut im fernen St. Petersburg an und fragte nach,, ob man im dortigen Bestand etwas über die Lothringer Linsen weiß. Doch die Suche, die Professorin Margarita Vishnyakova in ihrer Abteilung unternahm, blieb erfolglos.

Professorin Vishnyakova wusste aber Rat. Gemeinsam mit ihren KollegInnen konnte sie Patric Bies vier alte Linsensorten anbieten, die Anfang des 20. Jahrhundert aus Frankreich ins Institut nach St. Petersburg kamen. Darunter eine Linsenart, die vom Institutsgründer Nikolai Wawilow 1927 selbst gesammelt und in den Bestand aufgenommen wurde. Professorin Vishnyakova wies – halbentschuldigend – darauf hin, dass man „nur“ eine Samenbank sei und kein Saatgutbetrieb, weshalb man lediglich etwa 150 bis 200 einzelne Linsen ausgeben könne.

„Diese zu vermehren ist nun unsere Aufgabe und Verantwortung“, erklärte Patric Bies. Er hofft darauf, dass ähnlich dem Alblinsenprojekt auf der Schwäbischen Alb, die saarländische Landwirtschaft ein Alleinstellungsmerkmal in den alten Sorten erkennt und nutzen wird. Die Denn saarländische Gastronomie mit ihren zahlreichen Sterneköche ist sehr daran interessiert, schmackhafte Lebensmittel aus der Region zu beziehen. Schließlich gehörten Linsen zu den typischen Lebensmitteln der Hüttenarbeiter und Bergleute, zu Zeiten, als Fleisch noch reiner Luxus war und Hülsenfrüchte die wertvollen Proteine lieferten.

Zwar lagern die Samen in St. Petersburg optimal um 4 °Celsius bei etwa 12 Prozent Luftfeuchtigkeit, dennoch verlieren sie ihre Keimfähigkeit und müssen alle 5 bis 7 Jahre erneuert – d.h. angebaut, gepflegt und geerntet – werden. Man will sich gar nicht erst vorstellen, welche Opfer die Wawilow-Mitarbeiter zur Zeit der 900 Tage dauernden Blockade durch die Deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg von 1941 bis 1944 brachten.
Um die 300.000 Pflanzensamen mussten vor den Hungernden geschützt werden, obwohl gleichzeitig über eine Millionen Menschen in der Stadt starben und die Mitarbeiter selbst den Hungertod vor Auge hatten und teilweise erlitten.

Institutsgründer Nikolai Iwanowitsch Wawilow (1887-1943) ist in der Fachwelt als Spezialist für Getreide bekannt, hatte aber einen weiten wissenschaftlichen Horizont. Alleine tausend Sorten an Hülsenfrüchten brachte er von nur einer Reise ans Mittelmeer mit.

Heute kämpft das Institut mit erheblichen Schwierigkeiten. Zum einen ist das Institut eine Non-Profit Organisation und verlangt keine Gebühren wenn ihnen ein Projekt so vertrauenswürdig erscheint, dass sie gerne Saatgut abgeben. Zum Wohle und zum Fortschritt der Menschheit. Auf der anderen Seite residiert man in attraktiven Liegenschaften, auf die finanzkräftige Immobilienhaie ihr Auge geworfen haben und sich hohe Renditen versprechen...

München im Januar 2014.
Unweit des Hauptbahnhofs treffen sich Patric Bies und die Dolmetscherin Hannelore Philippi mit Professorin Vishnyakova. Sie weilte auf ihrer Auslandsreise wenige Tage in München. Mit dabei ist der Fachjournalist René Grün.

Die Anfrage aus dem Saarland hat Frau Vishnyakova sehr gefreut, denn man sehe es in St. Petersburg gerne, wenn man helfen könne. Patric Bies erklärte ihr die weiteren Schritte. Als nächstes soll eine saarländische Gärtnerei die Linsen in Gewächshäusern über mehrere Jahre vermehren, bevor man behutsam mit dem feldmäßigen Anbau beginnen könne. Dann erhalten die Sorten noch ihren Namen, bevor etwa 2017/2018 die erste „Linsesupp“ gelöffelt werden kann.

„Noch nie habe ich mich so auf eine Suppe gefreut, wie es sie dann geben wird. Selbstverständlich von einem saarländischen Sternekoch bereitet“, darauf hofft Patric Bies.

Und die originalen Lothringer Linsen?

„Denen bleiben wir auf der Spur. Vielleicht handelte es sich um keine spezielle Sorte, sondern war eine Art Gütesiegel für hochwertige Linsen aus dem damals zum Deutschen Reich gehörenden Lothringen. Mit unserem Projekt knüpfen wir“, so Bies, „indirekt daran an“.

Wellesweiler,  26. Februar 2014
Die Übergabe der Linsen an den Integrationsbetrieb Haseler Mühle der Neuen Arbeit Saar ist auf großes Interesse gestoßen.

Der Initiator des Projektes, die Peter Imandt Gesellschaft/Rosa Luxemburg Stiftung Saarland ist mit den Kooperationspartnern Slowfood Saarland, Bliesgauölmühle, Neue Arbeit Saar und Bliesgau Genuss auf das Wachsen und Gedeihen der ersten Aussaaten ab März 2014 gespannt.

Wellesweiler, 30. Mai 2014
Es wächst und gedeiht auf dem Versuchsfeld.

Wellesweiler, 4. Juli 2014
Unsere raren Linsen aus der Genbank in Petersburg werden so langsam reif.
Tja, in jedem Fall ist Ernte von Hand erforderlich, sonst wäre der Verlust zu groß.
Und wir freuen uns riesig über dieses Kooperationsprojekt.