Nachricht | Bericht von Dr. Gisela Tascher zur Einweihung des „Hans-Kanter-Platzes“ und einer dort aufgestellten Büste von Dr. Hans Kanter mit Gedenktafel in Walsheim

Am 16. Mai 2024 wurden im Rahmen eines feierlichen Festaktes der Platz vor dem Brauereikeller der ehemaligen „Walsheim-Brauerei AG“ im Ortsteil Walsheim der Gemeinde Gersheim nach Hans Kanter benannt und dort eine Büste von ihm mit Gedenktafel im Beisein seiner beiden Enkelinnen, die extra dafür aus der Schweiz angereist waren, vom Bürgermeister von Gersheim eingeweiht.

Nachfolgend der Wortlaut des Textes der Gedenktafel:

Dr. Hans Kanter

1874-1937

Letzter legitimer Eigentümer der Walsheim-Brauerei AG

Verfolgter des Nazi-Regimes

 Unterstützer der Status-Quo-Bewegung

Hans Kanter hatte die Walsheim-Brauerei-AG in den 1920iger Jahren zur größten Brauerei im Saargebiet auf- und ausgebaut. Sehr früh schon wurde er als Unternehmer mit jüdischer Herkunft aus seinem Unternehmen gedrängt und später de facto enteignet. Nach mehrmonatiger Haft floh er 1936 mit seiner Familie nach Zürich, gründete noch das französische „Kanterbräu“, bevor er im Herbst 1937 starb. Diese Büste wurde am 16. Mai 2024 in Anwesenheit seiner Enkelkinder Dr. Claudia Schoch und Barbara Etienne Rohrer durch Bürgermeister Michael Clivot enthüllt.

Es war vor allem eine der beiden Enkelinnen von Hans Kanter, die Schweizer Anwältin und Redakteurin Dr. jur. Dr. h.c. Claudia Schoch, die sich seit Anfang der 2000er Jahre in einer sehr akribischen und quellennahen Recherche mit der „Arisierung“ des geschäftlichen und privaten Vermögens ihres Großvaters durch den NS-Staat beschäftigt und diesen saarländischen „Wirtschaftskrimi“ aufgedeckt hat. Die ersten Ergebnisse dieser Recherche wurden bereits 2004 in einem 38seitigen Aufsatz in der Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend veröffentlicht. Die Ergebnisse ihrer neuesten Recherchen hat Claudia Schoch am 17. Mai 2024 im Rahmen eines Vortrages in Saarbrücken vorgestellt. Dass der aus Berlin stammende und mit einer Saarländerin verheiratete erfolgreiche Unternehmer Hans Kanter schon während der Völkerbunds-Zeit im Saargebiet als zum Katholizismus konvertierter Jude, politisch engagierter „Status-Quo-Anhänger“ und strikter Gegner des Nationalsozialismus verfolgt und bekämpft wurde, zeigt ganz anschaulich, welchen Einfluss die NSDAP und der NS-Staat im Saargebiet vor der Rückgliederung am 13.01.1935 auf Staat und Gesellschaft hatten. Schon Anfang der 1933iger Jahre – parallel zur Machtergreifung Hitlers und der NSDAP - kam es im Saargebiet zu Entwicklungen, die nicht nur in breitem Maße zu einer freiwilligen und vorauseilenden Anpassung an die im neuen nationalsozialistischen Deutschland gültigen Rechtsvorstellungen führte, sondern auch zu Anstrengungen seitens der NSDAP zur Einschleusung eigener Leute in Verbände, Parteien und sonstiger Organisationen. Hier gibt es zu den Ärzten und Juristen Parallelen, die am 01. April 1933 in dem von der NSDAP und dem NS-Staat organisierten reichsweiten „Geschäftsboykott“ gegen jüdische Geschäfte, Anwaltskanzleien und Arztpraxen auch im Saargebiet ganz anschaulich und massiv zu Tage traten. Auch im Saargebiet gab es eine ausgeprägte antisemitische Hetze mit Parolen wie „Trinkt kein Juden-Bier“. Getragen wurde diese Entwicklung von einer Mischung aus dem Glauben an die rassen- und bevölkerungspolitischen Ziele und Inhalte der Politik der NSDAP sowie auch von Neid, Missgunst und Habsucht. Hans Kanter war nicht nur Besitzer der „Walsheim-Brauerei AG“, die er ausgestattet mit einem modernen Brauhauskonzept und einer futuristischen Bauhausarchitektur zur größten und erfolgreichsten Brauerei des Saargebietes ausgebaut hatte, sondern auch Mehrheitseigner der „Hofbräuhaus-Bierzentrale AG“ in Saarbrücken und der „Brasseries Union Messine“ in Metz. Hinzu kam die Möglichkeit nach der Abtrennung des Saargebietes von Deutschland nach dem ersten Weltkrieg zur Übernahme von Kunden der pfälzischen „Park- und Bürgerbräu AG“, die den späteren Gauleiter des Saarlandes, Josef Bürckel, vor 1933 finanziell unterstützt hat. Anfang 1933 verschärfte sich im Saargebiet im veränderten politischen Klima auch der Konkurrenzkampf unter den saarländischen Brauereien. Diese Entwicklungen waren für Hans Kanter und seine Familie verhängnisvoll und der Beginn der „Arisierung“ seines geschäftlichen und privaten Vermögens. Eingebunden und federführend waren in diesen Prozess neben vielen saarländischen Brauereien und Einzelpersonen vor allem seine Hausbank, die „Bank für Saar und Rheinland AG“ („Saarbank“), die sich selbst bereits in Liquidation befand und auf diesem Wege sehr früh unter den Einfluss der NSDAP gelangt war. Einige Tage vor der Saarabstimmung am 13. Januar 1935 wurde Hans Kanter unter fadenscheinigem Verdacht verhaftet und endgültig außer Kraft gesetzt. Nach der Rückgliederung des Saargebietes Anfang 1935 in das nationalsozialistische Deutschland verlor er in einem unfairen und politisch motivierten Gerichts-Verfahren am NS-konformen Landgericht Saarbrücken nicht nur die „Walsheim-Brauerei AG“, sondern auch infolge der judenfeindlichen NS-Gesetzgebung sein Vermögen und seinen Besitz. Neuer Eigentümer der „Walsheim-Brauerei AG“ wurde die „Saarbank“, die 1937 die Brauerei zu „treuhänderischem Eigentum“ übergab an die „Rheinische Treuhand-Gesellschaft AG“ in Mannheim, die wiederum eng liiert war mit der „Deutschen Bank“ und jede französische Einflussnahme auf die Brauerei ausgeschaltet hat. Nur durch den rettenden Hinweis des Gefängnisdirektors konnte Hans Kanter im Februar 1936 und kurz darauf auch seine Frau mit den zwei Kindern, die in Saarbrücken angepöbelt, belästigt und ernsthaft bedroht wurden, nach Zürich fliehen. Von dort aus gründete er noch das französische „Kanterbräu“, bevor er im Herbst 1937 als kranker Mann und ruiniert in Zürich verstarb. Nach 1945 wurde die Familie von Hans Kanter wie viele andere nicht nur jüdische Opfer der NS-Diktatur im Rahmen der Wiedergutmachung ein zweites Mal gedemütigt und benachteiligt. Obwohl nach dem 10. November 1947 in Anlehnung an das Militärregierungsgesetz Nr. 59 in der amerikanischen, britischen und französischen Besatzungszone gesetzliche Regelungen zur „Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände an Opfer der nationalsozialistischen Unterdrückungsmaßnahmen“ erlassen wurden, hatten die Opfer in der französischen Zone bei Restitutionsklagen noch höhere Hürden zu überwinden als in den anderen Besatzungszonen (wie z. B. Zulassung der Umkehr der Beweislast erst für spätere Fälle). Hinzu kam, dass es im Saarland ab 1947 zu einer regelrechten „Renazifizierung“ in allen Bereichen von Staat und Gesellschaft kam, was in mehreren wissenschaftlichen Studien festgestellt wurde. Ein Beispiel dafür ist der Jurist Heinrich Welsch, der als ehemaliger GESTAPO-Chef von Trier und NS-Generalstaatsanwalt im April 1947 zum Oberstaatsanwalt ernannt und in der Regierung von Johannes Hoffmann mit dem Ressort für Arbeit und Wohlfahrt betraut wurde. Vom 29.10.1955 bis zum 10.01.1956 wurde Heinrich Welsch zum Ministerpräsidenten und zum Minister für Arbeit und Wohlfahrt der Übergangsregierung des Saarlandes ernannt. Welsch war nach 1945 wegen seiner erneuten Machtpositionen im Saarland maßgeblich daran beteiligt, viele NS-Täter zu exkulpieren, sie also von ihren Taten und ihrer Schuld reinzuwaschen. Zu diesem Personenkreis gehörten hohe Funktionäre des ehemaligen „Gau Westmark“ wie zum Beispiel der ehemalige „Gaugesundheitsführer“ Wilhelm Ewig, posthum der ehemalige „Gauleiter“ Josef Bürckel, der ehemalige „Wehrwirtschaftsführer“ Hermann Röchling sowie der ehemalige Polizeipräsident von Saarbrücken und Metz, Willy Schmelcher, dem es als ehemaligen „SS-Gruppen- und Polizeiführer“ dadurch gelang, von 1954 bis 1962 Mitarbeiter in der Abteilung Zivilverteidigung im Saarländischen Innenministerium zu werden. In diesem politischen Klima war es auch möglich, dass die Beauftragte der „Saarbank“, die schon im Auftrag dieser Bank die „Arisierung“ und „Verwertung“ der „Walsheim-Brauerei AG“ mit betrieben und durchgeführt hatte, 1947 und 1948 im Namen der „Walsheim-Brauerei AG i. L.“ beim Landgericht Saarbrücken Restitutionsansprüche geltend machen konnte. Dagegen haben die Hinterbliebenen von Hans Kanter bis heute nur eine sehr geringe Entschädigung erhalten. Bis heute müssen sie außerdem gegen das entwickelte und weit verbreitete Narrativ ankämpfen, dass das Schicksal ihres Großvaters selbst verschuldet gewesen wäre. Am Ende bleiben offene Fragen.

Welche Bedeutung hat die “Arisierung“ für das Verständnis des Holocaust und der deutschen Gesellschaft vor und nach 1945 und welche konkreten Auswirkungen hat sie bis heute?

Dr. Gisela Tascher, Püttlingen am 27.05.2024