Nachricht | Bewegung bläst zum Angriff! Enteignungskonferenz Berlin vom 27.-29. Mai 2022

von Dennis Lander

Die Enteignungsbewegung „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ in Berlin hat viel erreicht: ganze 59,1 % der Berliner:innen votierten bei der Volksabstimmung am 26. September 2021 für die Enteignung großer privater Wohnungskonzerne. Und die Bewegung macht weiter und will Unerhörtes: Sie verlangt nichts Geringeres als die Umsetzung der Volksabstimmung. Dazu hat die Initiative zusammen mit der Rosa Luxemburg Stiftung, dem Allgemeinen Studierendenausschuss der Technischen Universität Berlin und der Tageszeitung neues deutschland (nd) nach Berlin geladen - zur Diskussion und Vernetzung. Schließlich gilt die Initiative als beispielhaft für eine Bewegung und für einen linken Ansatz zur Lösung des Mieten- und Wohnungsproblems.

Den Vorbildcharakter konnten die aufmerksamen Teilnehmer:innen direkt zu Beginn erahnen, da Menschen aus ganz Deutschland, den Niederlanden und anderen Teilen Europas anreisten. Das Problem ist nicht nur ein berliner oder ein deutsches. Überall schießen die Mieten in die Höhe und dringend notwendiger Wohnraum wird zum Spekulationsobjekt für große private Kapitalunternehmen, die nur an einem interessiert sind: noch mehr Gewinn aus dem für Menschen vorgesehenen Wohnraum zu pressen. Die Ursache wurde von der Konferenz messerscharf herausgearbeitet: Das Privateigentum an öffentlicher Daseinsvorsorge wie Wohnraum und deren obszöne Konzentration bei einigen wenigen Unternehmen. Nun soll der Bestand von Konzernen, die mehr als 3.000 Wohnungen halten, verstaatlicht werden. Allein Vonovia und Deutsche Wohnen besitzen im Großraum Berlin mehr als 150.000 Wohnungen. Insgesamt sind mehr als 200.000 Wohnungen betroffen.

Doch eines wird auf der Konferenz schnell klar: Auch, wenn es erfrischend ist zu sehen, wie erfolgreich die Menschen sich organisieren, wie emsig sie Unterschriften sammeln und dem privaten Wohnungskapital den Streifschuss von 59,1 % mitgeben konnten, bis zur Enteignung ist es noch ein weiter Weg. Die SPD mit ihrer regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey windet sich und bläst zusammen mit den Parteien von FDP bis CDU in dasselbe Horn gegen die Vergesellschaftung von Wohnraum. Wie natürlich auch das private Wohnungskapital, wobei hier die Grenzen zu CDU und FDP fließend sind. Diese „Gemeinschaft“ baut fleißig eine Drohkulisse von DDR 2.0 und „durch Enteignungen wird keine einzige neue Wohnung gebaut“ auf. Letzterem stimmen die Enteignungsbefürworter:innen sogar zu, aber sie entgegnen, wenn allein die 150.000 Wohnungen von den beiden Konzernen dem privaten Wohnungsmarkt entzogen sind und wieder für die Menschen zur Verfügung stehen, ist schon viel gewonnen. Außerdem liege es auf der Hand, dass wir mit Blick auf die Klimakrise zuerst den vorhandenen Wohnungsbestand voll umfänglich sozial nutzen sollten, bevor neue Wohnungen zum Nachteil der Klimabilanz gebaut werden. Unbestritten ist auf jeden Fall, dass das private Kapital mit Händen und Füßen gegen die Enteignung und den damit verbundenen Dammbruch der Vergesellschaftung wehren wird. Dazu wird ihm jedes noch so niederträchtige Mittel recht sein zum Schutz seiner Absatzmärkte. Zusammenfassend kann, man sagen, dass die Initiative die ersten kritischen Treffer gegen das private Wohnungskapital erzielt hat, doch es gibt noch viel zu tun. Denn das private Wohnungskapital wird nicht so einfach aufgeben und schon zum nächsten Schlag gegen die Menschen in Berlin ausholen.

Doch auch die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ wird nicht ruhen, zur Parade und zum Gegenschlag bereit sein. Doch die Initiator:innen luden nicht nur zur Analyse ein, sondern auch zur Vernetzung.

Linke und Enteignung

Eben weil die Bewegung Vorbildcharakter hat. Obwohl DIE LINKE. bei der Bundestagswahl nur 4,9 % erreichte, konnte mit dem linken Thema der Enteignung und Vergesellschaftung am selben Tag eine Mehrheit von knapp 60 % erreicht werden. Also was kann die gesellschaftliche Linke und auch die Partei DIE LINKE. von der Bewegung lernen?

Nun zuallererst, dass es Massenbewegungen sind, die frischen Wind in den verstaubten parlamentarischen Politikbetrieb bringen. Die Initiative führt uns vor Augen, dass die Organisation von „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ ein Kind der gesellschaftlichen Bewegung ist, geboren im Schoße des privaten Wohnungskapitals, geschwängert durch die schreiende Ungerechtigkeit der Vertreibung, der Ohnmacht und Wohnungslosigkeit der Berliner:innen.

Diese Bewegung zum Status quo widerlegt all diejenigen, die immer noch der Meinung sind, man bräuchte für gesellschaftliche Veränderung zuallererst die Organisation und könne daraus dann eine Bewegung konstruieren. Doch warum ist das wichtig? Warum muss die gesellschaftliche Linke und auch die Partei verstehen, dass die Organisation und die Gremien erst durch die Bewegung entstanden sind? Weil nichts im luftleeren Raum entsteht. Niemand braucht eine gesellschaftliche Linke, die in Hinterzimmern von der Revolution schwadroniert und keinen Bezug zu den Problemen und revolutionären Potenzialen der Menschen hat. Und niemand braucht eine Partei, die von ihren Mitgliedern nur monatlich die Beiträge einsammelt und sich auf die „Verwaltung“ der Mitgliederdatei beschränkt. Nur damit alle, die brav ihre Mitgliedsbeiträge abführen, dann in ein paar Jahren sagen dürfen: Seht her, ich war im „Widerstand“ gegen das ausbeuterische System.

Auch im Fall des saarländischen Landesverbandes ist die Gefahr noch nicht gebannt, durch fortgesetzte Ignoranz, sich bald in einer rechthaberischen, unpolitischen und kleinen Sekte wiederfinden. Niemand im gemütlichen Sessel kann weite Bevölkerungsteile von sich überzeugen, wenn darauf gewartet wird, dass die gebratenen Tauben an gesellschaftlicher Unzufriedenheit und Wechselstimmung ins Maul fliegen und zu parlamentarischen Erfolgen führen. Die Partei und die gesellschaftliche Linke müssen lernen, auf soziale Bewegungen zuzugehen und zu verstehen. Und die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ führt uns geradezu perfekt vor Augen, dass eine solche Bewegung – soll sie erfolgreich sein - nicht unter dem Banner einer Partei laufen kann. Denn alle Parteien werden automatisch profitieren, sofern sie helfen, sich dem Thema unterzuordnen, Infrastruktur zur Verfügung zu stellen und uneigennützig aufzutreten. Dann erkennen die Leute auch, dass es der Partei nicht um reinen Selbstzweck geht. Die Menschen brauchen keine Splitterpartei, die ihnen paternalistisch vorbetet, dass im Falle ihrer Wahl alles besser würde.

Umgekehrt: Die Menschen wollen sich ihre Emanzipation selbst erkämpfen, aus ihren Fehlern ihre wichtigsten Erfahrungen schlagen. Da ist ein parlamentarischer Arm sehr hilfreich. Mehr aber auch nicht.

Letztendlich und um es mit Gramsci zu sagen: Es geht um die Hegemonie in der Gesellschaft. Das Denken der Menschen. Der Frage, warum ausgerechnet die Linke die besten Antworten liefert. Warum es richtig ist, den Menschen zur Emanzipation zu helfen und privates Wohnungskapital in den Händen rücksichtsloser Immobilienaktiengesellschaften zurück in die Hände der Gesellschaft zu überführen. Eben wie bei „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“. Ganz im Sinne einer revolutionären Realpolitik. Und dann darf und muss die Linke auch wieder die Frage stellen: Wem gehört eigentlich die Stadt?