Nachricht | "Alternativen anbieten!"

Ein Gastkommentar von Prof. Franz Schneider, Vorstandsmitglied der Monetative e.V.

Nur eine attraktive grundsätzliche Alternative zum bestehenden Wirtschafts- und Finanzsystem wird die Linke vor ihrem Verschwinden bewahren

Die saarländische Linke sollte begreifen, dass sie besonders gewaltige Probleme hat, sie sollte aber auch begreifen, dass auch die deutsche Linke, die europäische Linke, ja die Linke schlechthin ein großes Problem hat. Das Wirtschafts- und Finanzsystem, das wir haben, läuft seit 40 Jahren in die gleiche Richtung: unaufhaltsame Konzentration des Reichtums, zunehmende Verarmung, die sich in der Gesellschaft von unten nach oben durchfrisst, ein Geschrei nach nicht hinterfragtem Wachstum, das an ökonomischer und ökologischer Dummheit kaum noch zu überbieten ist, eine unendliche Verschuldungsspirale, die in das System eingebaut ist, damit es überhaupt existieren kann. Ohne ständige Erzeugung neuer Schulden würde es in DIESEM System bald kein Geld mehr geben und es würde zusammenbrechen.

Die Linke muss begreifen, dass sie aus langjährigen eingefahrenen Denkmustern herauskommen muss.

1. Aus den Schulden herauswachsen ist eine Illusion. Das Verschuldungssystem lässt es nicht zu, Schulden loszuwerden. Jedesmal, wenn neues Geld in den Geldkreislauf hineinkommt, dann ist es Schuldengeld. Deshalb, weil es NUR durch den Kredit (von Zentralbanken und Geschäftsbanken) in die Welt kommt. Wenn es keine Schulden mehr gibt, dann gibt es auch kein Geld mehr und in kürzester Zeit bricht das gesamte Finanzsystem zusammen.

2. Die „goldene Regel für öffentliche Investitionen“ versagt, weil das große Privatkapital den Staat überall dort nicht als Investor akzepiert, wo eine Rendite winkt. Schienengleise und deren Unterhaltung ja, aber die Züge, wenn sie Rendite versprechen und der Staat das vorher möglichst ausprobiert hat, nur privat. Wir werden in einigen Jahren sehen, wie das funktioniert, wenn sich die wieder in Betrieb genommenen Zugverbindungen rentieren. In Frankreich läuft übrigens schon der gleiche Prozess ab, aber noch dürfen Genossenschaften das Versuchskaninchen spielen.

3. Das Steuerkorrekturmodell, das dann, wenn die Goldmünzen schon in den Brunnen gefallen sind, soziale Gerechtigkeit herstellen möchte, steht auf hoffnungslosem Posten. Was nutzt es, jahrelang zu fordern, die Vermögenssteuer müsse eingeführt werden, wenn gerade die Vermögenden es sind, die sich am besten auf die Steuervermeidungs- und Steueroptimierungskunst verstehen und zudem die eifrigsten Steuerflüchtlinge sind. Allerdings werden die Geld-Migranten in den Steuerparadiesen und Steueroasen mit offenen Armen empfangen im Gegensatz zu den an der belarussisch-polnischen Grenze erfrierende nund im Mittelmeer und im Ärmelkanal ertrinkenden Globalisierungs-Migranten im Mittelmeer.

4. Das Verschieben der Finanzverantwortung von unten nach oben, also von den Kommunen zu den Ländern, von den Ländern zum Bund führt in die Sackgasse nach Brüssel. Denn dort residieren die obersten Wettbewerbshüter mit den europäischen Verträgen im gut gepolsterten Rücken. Der Kontrolldruck dieses Vertragswerks ist enorm. Seine Finanzpolizei ist bis hinab in die kleinste kommunale Amtsstube der Eurozone bestens aufgestellt. Unlängst musste das ein Innenminister namens Bouillon erfahren, als er naiv nach Berlin reiste und dort vom „Stabilitätsrat“ eröffnet bekam, dass er nicht einfach so Polizeibeamte rekrutieren könne, wie ihm das passt. Auch das sogenannte „Konnexitätsproblem“ – wer bestellt, bezahlt – das sich besonders auf der kommunalen Ebene bei der Erfüllung sozialer Aufgaben stellt, ist ein ungelöster Dauerbrenner. Jede Kommune, die sich keine Stelle für eine Fördertopfspezialistin leisten kann, ist verloren im Brüsseler Förderdschungel.

5. Querfinanzierungsmodelle, die einen Ausgleich schaffen sollen zwischen entwickelten und unterentwickelten Regionen haben ihre vor Jahren noch vorhandene Wirkung verloren. Nur noch ein blasser Schimmer vergangener Zeiten ist der heutige Länderfinanzausgleich mit einem lächerlichen Volumen. Die Vermögensunterschiede zwischen reichen und armen Bundesländern und Regionen verschärfen sich unaufhaltsam. Vergleichbares geschieht auf der kommunalen Ebene, wo die Gewerbesteuer die schon reichen Kommunen noch attraktiver macht, da sie die niedrigsten Gewerbesteuern anbieten. Die armen Kommunen dagegen sind gezwungen, hohe Gewerbesteuern zu verlangen und werden von den Unternehmen gemieden. Zwei weitere Beispiele von vielen weiteren möglichen für die zerstörerischen Auswirkungen des wichtigsten Prinzips der EU-Verträge: „Wettbewerb bis es knirscht“.

6. Und schließlich sind da die Nischensucher und -sucherinen in der Schuldenbremse. Ihr aufrichtiges Bemühen, irgendwo doch noch eine kleine Finanzierungsoase zu entdecken, in allen Ehren, aber sie muten an wie Ertrinkende, die in ihrer Verzweiflung nach dem Rettungsring greifen.

Die Linke, ob im Saarland, in Deutschland in Europa oder wo auch immer, sie wird nur dann nicht in der Versenkung verschwinden, wenn sie eine grundsätzliche Alternative zu dem bestehenden unerbittlichen Verschuldungssystem anbietet. Ein System, das die gesamte Weltbevölkerung nicht in ein immer größeres Heer von Schuldnern und eine immer mächtigere kleine Gruppe von Gläubigern einteilt.

Vorstellungen und Konzepte für eine Alternative gibt es. Sie stellen die folgenden nicht mehr haltbaren Glaubenslehren einer längst überholten, unzeitgemäßen neoklassischen ökonomischen Glaubenslehre völlig in Frage:

– den ökologisch, sozial und gemeinwohl-ökonomisch nicht mehr zu rechtfertigenden Wachstumsbegriff

– den in das System eingebauten automatischen Verschuldungsmechanismus mit der Erzeugung einer unendlichen Verschuldungsspirale, die nur Vermögende noch mehr bereichert

– den undemokratischen Neutralitätsanspruch der Zentralbanken, denn hinter Neutralitätskonstruktionen in Sachen Geld verbergen sich immer handfeste Interessen, die das Licht der Öffentlichkeit scheuen

Franz Schneider, 13.12.2021