Nachricht | Kein Schlussstrich – 30 Jahre nach dem rassistischen Mord an Samuel Yeboah

Aufruf zur Demonstration / Kundgebung* Samstag 18. September 2021 / 14:00 Uhr / Saarlouis Hauptbahnhof Kein Schlussstrich – 30 Jahre nach dem rassistischen Mord an Samuel Yeboah Aufklären ⋆ Einmischen ⋆ Konsequenzen ziehen

Der rassistische Brandanschlag und der Mord an Samuel Yeboah jähren sich am 19. September 2021 zum dreißigsten Mal. Und noch immer sind seine Mörder auf freiem Fuß. Dabei schien im Sommer letzten Jahres Bewegung in die Sache gekommen zu sein. Anfang August 2020 wurde bekannt, dass die Polizei wieder ermittelt. Die Generalbundesanwaltschaft wurde eingeschaltet und verkündete, dass jetzt (sic!) „gravierende Anhaltspunkte auf einen rechtsextremistischen und fremdenfeindlichen Hintergrund des Anschlags“ hindeuteten. Die Ermittlungen wegen achtzehnfachen versuchten Mordes sowie wegen Mordes an dem damals 27-jährigen Samuel Yeboah wurden allerdings bei der saarländischen Polizei belassen. Ebenso eine polizeiliche Ermittlungsgruppe, die schwerwiegende Vorwürfe gegen die 1991 ermittelnden Polizeibeamten prüfen sollte. Es kam sogar – nachdem die Täter 29 Jahre lang Zeit hatten Beweismittel verschwinden zu lassen – zu mehreren Hausdurchsuchungen bei ehemals führenden Kadern der Saarlouiser Neonazi-Szene, auch ein Tatverdächtiger wurde präsentiert.

Auffallend ist, dass es sich bei denen, die nun ins Visier der Ermittler geraten sind, in erster Linie um Nazis handelt die bereits seit Jahrzehnten von antifaschistischen Gruppen im Zusammenhang mit der Saarlouiser Neonaziszene immer wieder in zahlreichen Veröffentlichungen benannt wurden. Ganze Broschüren und Bücher wurden zu dem Thema veröffentlicht und sind im Internet frei abrufbar. Zu einer Festnahme kam es allerdings bislang nicht. Aufgrund der Erfahrungen aus vergangenen Ermittlungen zu rechtem Terror im Saarland, den Erkenntnissen aus dem sogenannten „NSU-Skandal“ und den Verstrickungen von Polizei und Geheimdiensten in rechte Netzwerke befürchten wir auch im Mordfall Samuel Yeboah eher eine weitere Verschleierung der Taten statt Aufklärung — ganz nach dem Motto „Wir haben doch jetzt wirklich ein Jahr lang alles mit großem Personalaufwand und hunderten ZeugInnenvernehmungen versucht und sind leider zu keinem Ergebnis gekommen. Wir müssen die Akten jetzt leider wieder schließen“.

Und auch die Saarlouiser Politik wird dann wohl wieder zu ihrem alten Mantra „Es gibt ja keine Beweise für einen rassistischen Mord“ zurückkehren. Dazu sagten Vertreter der Aktion 3. Welt Saar kürzlich in einem Gespräch mit der Antifa Saar / Projekt AK: „Die Stadt Saarlouis betreibt ein ‚Erinnern ohne Vergangenheit‘. Offiziell möchte man an Samuel Yeboah erinnern, aber man klammert die eigene 30 Jahre lang währende Vertuschung und Verharmlosung aus und ebenso die Diffamierung der wenigen, die kontinuierlich an Samuel Yeboah erinnert haben.“

Wie zur Bestätigung dieser Vorwürfe wurde jüngst, im August 2021, bekannt, dass sich hochrangige Mitglieder der Saarlouiser Feuerwehr nach einer Betriebsfeier mit Hitlergrüßen haben ablichten lassen. Schon 1991 ließ die Saarlouiser Feuerwehr eine Stunde auf sich warten bis sie am Ort des Brandanschlags eintraf; Im Juli 1997 beteiligte sie sich durch eine in unmittelbarer Nähe des Infoladens Bambule abgehaltene Übung an der Sabotage einer dort stattfindenden antifaschistischen Infoveranstaltung über Verstrickungen von Stadt und Naziszene. Ein Feuerwehrmann tauschte auf Betreiben des auch jüngst wieder in die Schlagzeilen geratenen Grünen-Chefs Hubert Ulrich sogar die Schlösser der Toilettenanlage aus (siehe KEINSCHOENERLAND S. 47). Die Räume des Infoladens wurden fristlos gekündigt. Solche Geschichten sind dutzendfach dokumentiert und offenbar Saarlouiser Tradition. Das alles ist Stadt und Behörden an der ein oder anderen Stelle mittlerweile unangenehm. Man möchte endlich einen Schlussstrich ziehen.

Aber mit uns wird es keinen solchen Schlussstrich geben!

Der rassistische Brandanschlag von 1991 in Saarlouis fiel in eine Zeit, in der die etablierten Parteien mit rassistischer Stimmungsmache das politische Klima anheizten und in der ein nach der Wiedervereinigung entfesselter Mob, angeführt von bereits länger bestehenden neonazistischen Organisationen, mit Prügel, Drohungen, Hetzjagden, Anschlägen und Morden den rechten Terror auf die Straßen brachten. Orte wie Saarlouis, Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen und viele mehr sind zu Symbolen dieser sogenannten „Baseballschlägerjahre“ geworden. Die von CDU/CSU, FDP und SPD 1993 im Deutschen Bundestag, beschlossene und als „Asylkompromiss“ bezeichnete faktische Abschaffung des Rechts auf Asyl war die parlamentarische Legitimation für die Taten des rechten Mobs.

Und machen wir uns nicht vor: Es hat sich an vielem nichts geändert. Im Gegenteil. Naziterror und Rassismus haben nicht aufgehört. Nationalsozialistischer Untergrund (NSU), der antisemitisch motivierte versuchte Massenmord beim Anschlag auf die Synagoge in Halle 2019, die rassistischen Morde von Hanau im Februar letzten Jahres und der rassistisch motivierte versuchte Mord an einem Studenten in Saarbrücken im Juni 2020 sind nur drei Beispiele. Bekannt gewordene neonazistische Strukturen in Polizei, Bundeswehr und Verfassungsschutz der letzten Jahre — Nordkreuz, NSU 2.0, Uniter, Hannibals Schattennetzwerk – lassen sich schon gar nicht mehr zählen. An den Außengrenzen des Friedensnobelpreisträgers Europa sterben Tausende auf der Flucht vor Krieg, Verfolgung, Hunger und Armut. Von der antisemitischen Querdenker-Bewegung wollen wir jetzt gar nicht erst anfangen.

Und auch im Landkreis Saarlouis geht die Ignoranz gegenüber Neonazistrukturen weiter. Seit Jahren betreiben die Nachfolgeorganisationen der neonazistischen Saarlouiser Kameradschaften in Dillingen einen Treffpunkt, die sogenannte Hate-Bar und haben sich zu einem der führenden Chapter der international agierenden Nazi- und Rassistenorganisation Hammerskins entwickelt, weitgehend unbehelligt von Politik und Polizei. Wieder einmal waren es antifaschistische Gruppen wie EXIF, die erst kürzlich das gesamte Netzwerk und seine Strukturen offenlegten. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht des Bundes sind die Hammerskins noch nicht einmal erwähnt.

Dies ist alles nur ein mikroskopisch kleiner Ausschnitt der Gründe, warum wir mit Euch am 18. September 2021 in Saarlouis auf die Straße gehen wollen. Denn es wird weiter Aufgabe und Pflicht von uns allen bleiben, diese Zustände anzugehen. Wir müssen uns organisieren und zusammen dagegen kämpfen. Auf Polizei und Behörden ist, wie die Geschichte nicht nur von Saarlouis beweist, überhaupt kein Verlass.
Wir müssen Aufklären, uns einmischen und Konsequenzen ziehen!
Organisiert den antifaschistischen Selbstschutz!