Nachricht | Ein Saarländer auf Weltrekordfahrt

Vor 100 Jahren: Von der Weltrekordfahrt an die Kremlmauer

Nach der Oktoberrevolution 1917 hatte man in der jungen Sowjet-Macht den Wunsch nach einer Internationalisierung des Kampfes gegen Krieg und Kapitalismus. Schon 1919 erfolgte auf Initiative von Wladimir Iljitsch Lenin, die Gründung der (dritten) Kommunistischen Internationale. Diesem Zusammenschluss von der Sozialdemokratie abgespaltener, kommunistischer Parteien sollte 1921 eine „Gewerkschaftsinternationale“ folgen.

Neben eher kommunistisch orientierten Arbeitervereinigungen, waren vor allem syndikalistische u.a. linke Gewerkschaftszusammenschlüsse die Adressaten, da sie sich als Gegenpart zum sozialdemokratisch dominierten, Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) in Amsterdam verstanden.

Der Gründungskongress der “Gewerkschaftsinternationalen” fand unter reger Beteiligung zahlreicher internationaler Organisationen und Persönlichkeiten vom 3. bis 19. Juli 1921 in Moskau statt.

Nach hundert Jahren kann leider nicht mehr geklärt werden, warum ausgerechnet der Dudweiler Bergmann und revolutionäre Gewerkschaftsführer Oskar Hellbrück (geb. 1884) eine Einladung nach Moskau erhielt. Ihn begleitete Franz Kandzia aus Völklingen, wahrscheinlich ein Hüttenarbeiter. Beide gehörten - obgleich das Saarland unter Völkerbundmandat stand - der Deutschen Delegation an.

Nach dem Kongress kam man auf die Idee, am 24. Juli 1921 einige Delegierte nach Tula, etwa 200 km südlich von Moskau einzuladen, wo der Ingenieur Valerian Abakovski einen Aeromotowagon, praktisch eine Art Autodraisine, konstruiert hatte und sich nun anschickte mit diesem einen neuen Geschwindigkeitsweltrekord aufzustellen. In den ersten Tests erreichte das mit Propellerantrieb versehene Ungetüm beachtliche 140 Stundenkilometer.

Noch schnell ein Foto auf dem Bahnhof Tula vor dem Aeromotowagon, dann einsteigen und losfahren. Schnell und planmäßig nahm das Gefährt Fahrt in Richtung Moskau auf, bis es nach etwa 70 Kilometer – kurz vor der Stadt Serpuchow – aus den Gleisen sprang.

Es gab sieben Tote, darunter Oskar Hellbrück, der Erfinder Ingenieur Abakovski, das Mitglied des Zentralkomitees der russischen kommunistischen Partei, Fjodor Andrejewitsch Sergejew Artjoms, ein enger Vertrauter Josef Stalins. Desweiteren starben Otto Strupat aus Deutschland, William John Hewlett aus Wales, Iwan Kostadinow Kaltschew aus Bulgarien und, nach schwerer Verwundung, der Australier Friemann. Außerdem gab es zahlreiche Verletzte, darunter Franz Kandzia.

Der Aeroplanwagon war komplett zerschmettert. Nur das verbogene Gerüst blieb übrig. Die Gründe der Katastrophe sind unbekannt. Es wird angenommen, dass der Waggon auf einen Stein stieß und entgleiste, worauf der Propeller den Waggon umwarf und ihn zerschmetterte.

Wer als Tourist nach Moskau kommt, am Roten Platz das Lenin-Mausoleum aufsucht und dann an den Gräbern an der Kremlmauer vorbeigeht, wird auf der linken Seite unter der Jahreszahl 1921 den Namen von Oskar Hellbrück und seinen Genossen lesen können.

Sein Familienname ist allerdings mit „Hellbrich“ wiedergegeben. Wer ihm „begegnen“ will, begegnet in Moskau auch der Geschichte der saarländischen Arbeiterbewegung.

Und erneut ist die These bewiesen: „Wo im 20. Jahrhundert Weltgeschichte geschrieben wurde, war ein Saarländer meist in der Nähe…“

Mehr über die sprichwörtliche Höllenfahrt und über die revolutionäre Familie Hellbrück findet Ihr in: „Saarländer in Moskau“, 2018. Erhältlich bei der RLS/PIG für 9,90 Euro.